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Mark Wyand
I’M OLD FASHIONED
Content/Edel CD
CDs I
NEUES AUS
Wyands Stilmittel sind radikale
Entschleunigung
und
Entschla-
ckung, Reduktion auf den Kern -
nämlich die Melodie-und Schaffung
von Raum, um die Musik, Ton für Ton,
atmen zu lassen. Er wählt lauter Bal-
laden, fährt darin das Tempo noch-
mals herunter, spielt mit viel Luft, so-
dass selbst die Anblasgeräusche zu
Musik werden, und bleibt noch in
den Improvisationen der Melodie
und der sangbaren Linie verpflichtet.
Ein bisschen Koketterie ist schon
dabei,
wenn
Tenorsaxophonist
Mark Wyand im Albumtitel be-
kennt: „I’m Old Fashioned“, doch
es ist auch etwas Wahres dran. Der
Wahlberliner aus England, der
sonst seine Musikdurchweg selber
schreibt und nur gelegentlich Stan-
dards oder Popsongs drunter-
mischt, kommt mit einem reinen
Standards-Album. Mittendrin: „l’m
Old Fashioned“. Es wirkt wie eine
Standortbestimmung oder Selbst-
vergewisserung, wenn er jetzt sei-
nen eigenen Ansatz am immergrü-
nen Songbook einer schier über-
mächtig erscheinenden Jazztradi-
tion schärft.
DER
MUSIKWELT
Das strahlt Gelassenheit aus und
Kontemplation.
Entsprechend reflektiert und spar-
sam spielt seine Band, eigentlich ein
Quartett, dem sich gelegentlich und
mit höchst pointierten Beiträgen der
eher als Mann der Avantgarde be-
kannte Gitarrist Frank Möbus (Der
rote Bereich) hinzugesellt. Greifen
Wyand oder sein Pianist in die Tas-
ten einer Celesta, wird dies nie zum
Geklingel, sondern bleibt zarte Far-
be. Für verblüffende Klangschattie-
rungen sorgt in einigen Songs die
Stimme der aus Israel stammenden
Ofri Brin. Mal mädchenhaft, mal en-
gelgleich, kann sie aber auch klin-
gen wie eine ganz sacht singende
Säge („Speak Low“, „l’m Getting
Sentimental Over You“). Gewöh-
nungsbedürftig, aber das hat was.
Berthold Klostermann
M USIK-**-**-*
KLANG * * * * *
Interpretiert Standards auf
hohem Niveau neu: Mark Wyand
BIG CIRCLE
І Intuition/SM CD
________[5V]
, Man braucht keine Vergleiche zu be-
; mühen, um Michael Riesslers Musik
: zu beschreiben. Mit Sätzen wie „Ich
: will Unbekanntes hören, etwas aus
; der Luft greifen und zusammenfü-
: gen, und mich dabei immer wieder
i selbst überraschen“ liefert der
: Künstler selbst die Erklärung. Seine
! Kompositionen auf „Big Circle“ be-
|
v/egen sich im Spannungsfeld von
: Pop- und Jazz-Avantgarde. Der un-
■
gewöhnliche Klang der Formation
! basiert auf Pierre Charials von Loch-
; karten gesteuertem Drehorgelspiel,
: das den rhythmischen Fluss des Ge-
schehens bestimmt und die Soli der
j Protagonisten inspiriert.
G.F.
; MUSIK * ★ * ★
KLANG ★ * * ★
Billy Cobham Band
LIVE IN LEVERKUSEN
BHM/ZYX CD_________________ (78 )
vijay іуег tho
accelerando
Vij'ay lyer Trio
ACCELERANDO
ACT/Edel CD (V.Ô.: 24.2.)
Michael Wollny’s [em]
WASTED & WANTED
M
ichael WoJIny’s [am
l
Wasted & Wanted
EvoKru*«
Еле Schaefer
ACT/Edel
і
CDsJV.Ö.:
24.2.)
(70 )
Seit Schlagzeuglegende Billy Cob- ;
harn vor Jahren den Steeldrummer
Junior Gill in seine Band holte, ge- ;
winnt sein Fusion-Sound eine ganz ■
neue Färbung. Selbst seine älteren j
Stücke, die er sukzessive einer Neu- ;
betrachtung unterzieht, klingen jetzt j
ein wenig nach Calypso und Karibik. ■
Bei den Leverkusener Jazztagen j
2 0 1 0
spielte Cobham einen Mix aus j
seinen Klassikern („Red Baron", j
„Stratus“) und Titeln des damals ak-
tuellen Albums „Palindrome“. Doch
wo er dort Bläser einsetzte, sorgen
nun live zwei Keyboarder für pseu-
doorchestrale Wirkung, und in so j
manchem Solo kommt es zu Durch- :
hängern.
klm
M U S I K * * * *
KLANG * ★
★
*
Dies - so sagen es uns schon die ers-
ten Töne - ist ein etwas anderes Kla-
viertrio. Vijay lyer hält es nicht mit den
pilgernden Bill-Evans-Adepten. Hier
geht es um einen kompakten musi-
kalischen Körper. Duke Ellington steht
Pate, und im pianistischen Ansatz
auch Thelonious Monk. lyer, Stephan
Crump am Bass und Marcus Gilmore
am Schlagzeug agieren verzahnt, tän-
zerisch, tauschen sich in bewegten
Rhythmen aus. Keiner schert aus, um
eigene Linien zu finden. Manchmal
wirkt das Ganze durch lyers blockhaft
gesetzte Akkorde arg holzschnittartig
und gewollt archaisch. Immerhin wagt
sich das Trio mit dieser Aufnahme mit-
ten hinein ins Unformatierte.
r.
u.
M U S IK * * * *
KLANG * ★ ★ ★
Das Trio [em] um den
3 3
-jährigen
Pianisten Michael Wollny gehört zu
den innovativsten deutschen Jazz-
combos. Für ihre Einspielungen ern-
tete die Gruppe, zu der neben Woll-
ny die Bassistin Eva Kruse und der
Schlagzeuger Eric Schaefer gehören,
höchstes Lob: Der britische „Guar-
dian“ sieht ihre CD „Live“ als das
„beste Jazzalbum der letzten
2 5
Jah-
re“ an, für „Die Zeit“ ist [em] gar das
„aufregendste Piano-Trio der Welt“.
Auch auf ihrer neuesten CD „Was-
ted & Wanted“ sind die drei für so
manche Überraschung gut. Das be-
ginnt schon bei der Auswahl der Stü-
cke. Da findet sich eine originelle Be-
arbeitung des Trauermarsches aus
Gustav Mahlers fünfter Sinfonie ne-
ben einem verjazzten Schubert-Lied
und einem Piano-Solostück des
Postmodernisten Luciano Berio;
selbst den Ohrwurm „Das Model“
der Elektropop-Veteranen von Kraft-
werk schmuggeln die drei auf das Al-
bum, leiten ihn debussyartig ein und
steigern ihn bis zum Exzess. Alle
weiteren Titel stammen von den
Bandmitgliedern.
Musikalisch kombinieren die Mu-
siker hemmungslos Einflüsse aus
der Jazztradition mit Rock, Minimal
Music sowie Klängen aus Impres-
sionismus und Neuer Musik und
schaffen so eine ganz „eigenartige“
Mischung, die von kontemplativen
Klanglandschaften bis zu treibenden
Rocknummern
mit
Punk-Appeal
reicht. Letztere geraten melodisch
manchmal ein wenig reduziert, aber
das gehört ja schließlich zum Wesen
des Punkrock. Besonders originell
fällt das Stück „Cembalo Manifeszt“
aus, das Wollny mit sich selbst im
Duo präsentiert: Klavier plus rocki-
ges (!) Cembalo. Die Bonus-CD mit
drei Live-Versionen von Titeln des Al-
bums und einem Stück des Filmmu-
sik-Komponisten Krzysztof Komeda'
ist eine nette Dreingabe der Limited
Edition.
Morio-Felix Vogt
MUSIK ★ * ★ ★ *
KLANG ★ ★ ★ *
128 STEREO 3/2012